Die Schematherapie ist ein Therapieansatz, der im Rahmen der dritten Welle der kognitiven Verhaltenstherapie entstand. Konzipiert wurde er von J. E. Young, der dabei Theorien und Techniken verschiedener Therapiemethoden in ein einheitliches, neurobiologisch fundiertes Konzept integrierte. Die Schematherapie baut daher nicht nur auf kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapietechniken auf, sondern verbindet übergreifend Elemente verschiedener Therapieschulen (z.B. verhaltenstherapeutische, psychodynamische und humanistische Ansätze) – ähnlich der Idee der allgemeinen Psychotherapie von K. Grawe. Sie stellt dabei eine Beziehung zwischen aktuellen Problemverhalten des Patienten und der Entstehung dieser Verhaltensweisen in der Vergangenheit her. Grundannahme in der Schematherapie ist die Existenz erlernter Grundschemata, die darauf abzielen, die seelischen Grundbedürfnisse zu befriedigen und hierzu das Verhalten von Menschen steuern. Nachfolgend möchte ich Interessierten die beiden wesentlichen Begriffe Schema und Modus sowie die Techniken und Indikation einer Schematherapie kurz erläutern:

Das Konzept des Schema entstammt ursprünglich der konstruktivistischen Erkenntnistheorie von J. Piaget. Ein Schema wird dabei als ein Muster, bestehend aus Erinnerungen, Emotionen, Kognitionen und Körperempfindungen angesehen, das im Alltag unser Verhalten zur seelischen Bedürfnisbefriedigung (z.B. Bindung, Autonomie, Kontrolle etc.) steuert. Solche Muster können bereits in der Kindheit, aber auch im späteren Verlauf unseres Lebens erworben werden, beispielsweise durch Erfahrungen mit Eltern, Lehrern oder anderen Autoritäten und Gleichaltrigen. Werden wiederholt vergleichbare Erfahrungen gemacht (z.B. Zurückweisung), so festigen sich Schemata mit der Zeit, sie werden neurobiologisch verankert. Der Mensch entwickelt als Folge feste Annahmen z.B. über die Funktionsweise der Umwelt, die er aus eigenem Antrieb nicht mehr in Frage stellen bzw. überwinden kann, da er diese durch frühere Erfahrungen bestätigt erlebt und sich selbst mit seinen Annahmen vollständig identifiziert. So reagiert er in zukünftigen Schlüsselsituationen mit einem weitgehend automatisierten Verhalten -nach einem Schema. Vergleichbar mit der Situation eines Autofahrers, der, immer wenn er an eine Kreuzung kommt, automatisch links abbiegt – auch wenn sein Ziel gar nicht in dieser Richtung liegt.

Ein Schema kann als funktional (adaptiv) oder als dysfunktional (maladaptiv) angesehen werden, je nachdem, ob es hilfreich ist, ein Grundbedürfnis (z.B. das Bedürfnis nach Bindung) zu befriedigen oder ungeeignet dazu. Nach Young entstehen die maladaptiven Schemata durch das frühe Nichterfüllung menschlicher Grundbedürfnisse. Sie bestehen dann als emotionale Verwundbarkeit, als „Lebensfallen“ weiter, die  im Alltag durch entsprechende Auslösereize und -situationen automatisch aktiviert werden und in Folge ein weitgehend automatisiertes Erleben und Verhalten bedingen. So kann beispielsweise das Schema „Abhängigkeit“ entstehen, wenn ein Kind nicht ausreichend zur Selbstständigkeit ermutigt bzw. erzogen wird, so dass es sich in Entscheidungssituationen oder bei der Übernahme von Verantwortung als inkompetent erlebt und später auch als Erwachsener dazu neigt, sich von anderen Menschen abhängig zu machen bzw. dominieren zu lassen. Young beschreibt insgesamt 18 maladaptive Schemata, von denen mehrere gleichzeitig oder abwechselnd in der selben Person aktiviert sein können. Da maladaptive Schemata zur direkten Bedürfnisbefriedigung nicht hilfreich sind, bilden Betroffene aus der Not heraus mit der Zeit Bewältigungsstrategien aus, um sich vor Negativerfahrungen zu schützen bzw. diese besser aushalten zu können, z.B.  Erdulden (Erfahrungen passiv aushalten), Vermeiden (Versuch, sich auf entsprechende Erfahrungen nicht mehr einzulassen), Selbstberuhigung (z.B. Einsatz von Selbstverletzung oder Substanzen, um unangenehme Emotionen ertragen zu können) oder Überkompensation (Suche nach Ersatzbefriedigungen, z.B. durch Leistung im Beruf). Da das eigentliche Bedürfnis jedoch nicht direkt befriedigt wird, verbleibt eine andauernde Unzufriedenheit und Spannung zurück, die zunehmend Leidensdruck erzeugt. Nicht selten begünstigen diese Bewältigungsstrategien die Entstehung weiterer psychischer Problembereiche (z.B. Sucht, Selbstverletzung, Burn-Out, Depressionen etc.).

Da Schemata im Alltag (und auch in der Therapiesitzung) rasch wechseln können, könnte der Eindruck entstehen, dass die Aktivierung der Schemata unkontrollierbar geschieht. Daher kommt während der therapeutischen Arbeit unterstützend das Modus-Modell zum Einsatz, das die Aktivierung der Schemata mit momentan aktiven Persönlichkeitsmerkmalen in Beziehung setzt. Ein Modus wird als der momentan aktive Aspekt der Persönlichkeit des Individuums (einschließlich durch Schemata aktivierter Verhaltenstendenzen) verstanden. Unterschieden werden in diesem Modell Kind, Eltern, Bewältigungsmodi und der Modus des gesunden Erwachsenen, die im Individuum wechselhaft stark ausgeprägt sind:

  • Kind-Modi (verletzbar, wütend, undiszipliniert/verwöhnt) treten auf, wenn die Person intensive, negative, belastende oder überwältigende Gefühle erlebt, die in der aktuellen Situation objektiv nicht angemessen sind. Sie stehen für emotionale Verletzbarkeit und unbefriedigte emotionale Bedürfnisse.
  • Elternmodi (strafend/kritisierend, fordernd) stellen antreibende oder bestrafende innere Stimmen bzw. Dialoge dar, die widerspiegeln, wie der Betroffene früher seine Eltern oder andere Bezugspersonen erlebt hat. Sie stehen für verinnerliche Regeln und Wertvorstellungen und begünstigen übertriebenen Anforderungen an sich selbst, Selbstvorwürfe und negative Grundüberzeugungen.
  • Bewältigungsmodi (z.B. Unterordnung, Gefühlsvermeidung, Überkompensation) sind „Anpassungsstrategien“ zur Reduktion der Spannung, die durch die Eltern- und Kind-Modi ausgelöst wird. Sie stehen für eine (nicht erfolgreiche) Anpassung an die Umwelt und soziale Beziehungen.
  • Gesunder Erwachsener:  Zielzustand, der in der Lage ist, emotionale Bedürfnisse auf geeignete Weise zu befriedigen und in der Behandlung gestärkt werden soll

Der Modus „Gesunder Erwachsener“ gilt dabei als erwünschter (normativer) Zielzustand, da dieser in der Lage ist, die seelischen Grundbedürfnisse in einer für den Patienten geeigneten Weise zu befriedigen, sich wertzuschätzen und selbstfürsorglich mit sich umzugehen. Eine schematherapeutische Behandlung besteht dabei im wesentlichen auch aus Therapiebausteinen, die ebenfalls in der Verhaltenstherapie zu finden sind (Beziehungsaufbau, kognitive und behaviorale Methoden). Eine besondere Bedeutung kommt  jedoch den erlebnisaktivierenden Methoden zu, denn eine Grundannahme der Schematherapie besteht darin, dass Schemata aufgrund ihrer neurobiologischen Verankerung nur verändert werden können, wenn diese – auch in der Therapiesituation – aktiviert werden. Nur so können die neuronalen Muster aufgebrochen und verändert werden – in etwa vergleichbar mit der Expositionstherapie bei Angststörungen.

  • Imaginationsübungen helfen, bei vorherrschenden belastenden Emotionen zugrundeliegende Referenzereignisse in der Kindheit oder Jugend zu erinnern, in denen diese Gefühle erstmalig sehr präsent gewesen sind. Durch das Anbieten der (fehlenden) Qualitäten stellvertretend für die beteiligten Personen (z.B. die Eltern) kann der Therapeut eine Neubewertung dieser Situationen sowie eine Übertragung des veränderten Gefühls auf aktuelle Problemsituationen ermöglichen (die Nachbeelterung oder engl. „Reparenting“). So lernt der Patient, zwischen „früher bzw. notwendigem Verhalten“ und „heute bzw. nicht mehr angemessenen Verhalten“ zu unterscheiden.
  • In der Stühlearbeit werden die aktiven Modi sinnbildlich veranschaulicht, indem verschiedene Modi leeren Stühlen zugeordnet werden, die der Patient bei der entsprechenden Aktivierung besetzt. Dies ermöglicht dem Patienten durch den Perspektivenwechsel ein nachhaltiges Verständnis seines Verhaltens durch Aufdecken der inneren Dialoge, fördert eine emotionale Aktivierung, das Erkennen eigener Bedürfnisse und ermöglicht auch die Distanzierung (z.B. durch sinnbildliches „Vor-die-Tür-stellen“ des „Kritikers-Stuhls“) und dadurch langfristig die Stärkung des „gesunden Erwachsenen.“ Kognitive und behaviorale Übungen helfen weiterführend, neue Verhaltensweisen zu festigen und zu verankern.

Die Schematherapie wurde insbesondere  zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen  (z.B. emotional-instabile Persönlichkeitsstörung oder narzistische Persönlichkeitsstörungen) konzipiert, wird mittlerweile jedoch auch bei langjährigen Depressionen, Essstörungen, Suchterkrankungen und Angststörungen mit Erfolg eingesetzt, um die den Störungen zugrundeliegenden, zeitstabilen Verhaltensmuster zu verändern. Bei entsprechender Indikation biete ich Ihnen in meiner Praxis auch schematherapeutische Interventionen als Erweiterung der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Behandlung an. Abschließend eine ergänzende Literaturangabe für Interessierte der Schematherapie:

• Roediger, E. (2015). Raus aus den Lebensfallen: Das Schematherapie-Patientenbuch. Überarbeitete zweite Auflage. Paderborn: Junfermann Verlag.