Methoden in der Verhaltenstherapie – Entspannungsverfahren

Entspannungsverfahren

Langfristige Belastungsphasen und anhaltender negativer Stress können die Grundanspannung im Alltag steigern und unsere Entspannungsfähigkeit ungünstig beeinträchtigen. Neben den kognitiven Methoden zur Behandlung verschiedener Störungsbilder kommen in einer ambulanten Psychotherapie daher nach Bedarf auch unterstützend Entspannungsverfahren zum Einsatz. Als Entspannungsverfahren werden in der Verhaltenstherapie mentale Techniken bezeichnet, die Betroffenen helfen, mit oder ohne direktive Anleitung einen körperlichen (bzw. psychischen) Entspannungszustand herbeizuführen. Obwohl viele von ihnen nicht ausschließlich für den Einsatz in der Psychotherapie entwickelt wurden und daher in unterschiedlichen Berufsfeldern zum Einsatz kommen können, stellen sie eine sinnvolle Ergänzung des psychotherapeutischen Behandlungsinventars dar. Denn viele psychische Störungsbilder wie beispielsweise somatoforme Störungen, affektive Störungen oder Angsterkrankungen gehen oft mit hoher körperlicher und psychischer Grundanspannung im Alltag einher. Daher kann es hilfreich sein, ein geeignetes Entspannungsverfahren zu erlernen, um bei Bedarf selbstständig eine Entspannung herbeiführen, die eigene Grundanspannung senken und dadurch das Körpergefühl verbessern zu können.

Welche Vorteile bieten Entspannungsverfahren?

Tritt eine Belastung urplötzlich und unvermittelt auf, so bemerken wir die damit verbundenen körperlichen Veränderungen, z.B. muskuläre Anspannung oder Veränderungen der Herzfrequenz,  meist sofort und es ist uns leichter möglich, darauf angemessen zu reagieren. Stehen wir im Alltag jedoch längere Zeit unter Stress und treten die Veränderungen sehr langsam, kaum merklich und kontinuierlich auf, so kann sich dadurch unsere Körperwahrnehmung langfristig ungünstig verändern, da wir unsere Körperwahrnehmung den Veränderungen anpassen und dadurch möglicherweise vergessen, wie sich unser Körper vor dieser Belastungsphase in entspanntem Zustand angefühlt hat. Dann fehlt uns im Alltag eine konkrete Orientierungsmöglichkeit, denn nur wenn ein Bewusstsein für einen Entspannungszustand besteht  – ich also weiß, wie sich Körper und Psyche in entspanntem Zustand „angefühlt“ haben, dann existiert auch ein Indikator bzw. eine Erfolgskontrolle, ob von mir eingeleitete Maßnahmen (z.B. Sport, Ruhepausen, Entspannungsverfahren) mir die gewünschte Entspannung ermöglichen können.

Entspannungsverfahren ermöglichen es – neben der Vermittlung der Entspannung selbst – auch wieder ein Bewusstsein für körperliche Prozesse und dadurch auch für einen entspannten Körper zu entwickeln. Hier findet häufig der Begriff der Achtsamkeit Anwendung – das gegenwärtige Erleben und Bewusstmachen vorwiegend automatischer, unbewusster und gewohnheitsmäßiger (körperlicher und seelischer) Prozesse mit dem Ziel, auf diese zukünftig mehr Einfluss nehmen bzw. diese gezielt im Alltag steuern zu können. Denn nur wenn ich im Alltag eine hohe Grundanspannung auch zeitnah bemerke, ist es mir möglich, rechtzeitig individuelle Maßnahmen einzuleiten, um die eigene Anspannung zu senken und Entspannung wieder aktiv herzustellen.

Welche Entspannungsverfahren gibt es in der Verhaltenstherapie und wie wirken sie?

Obwohl es eine Vielzahl von verschiedenen und wirksamen Entspannungstechniken gibt und Entspannung ein Zustand ist, der grundsätzlich auf sehr individuellem Weg eingeleitet werden kann, findet man in der Verhaltenstherapie vor allem drei häufig angewendete Verfahren, auf die ich nachfolgend kurz eingehen möchte: die progressive Muskelentspannung, das autogene Training und die Atementspannung.

Die progressive Muskelentspannung oder auch progressive Muskelrelaxation (PMR) nach E. Jacobson ist ein angeleitetes Verfahren zur Entspannung von Muskelgruppen bzw. Körperpartien. Der Teilnehmer befindet sich dabei in einer entspannten Ausgangssituation (z.B. Sitzen in bequemer Haltung oder Liegen). Er wird akustisch durch gesprochene Anweisungen (mit oder ohne begleitende Musik) angeleitet, einzelne Muskelgruppen gezielt anzuspannen, die Spannung einen Moment zu halten und danach loszulassen und zu entspannen. Es existieren verschiedene Variationen der PMR mit unterschiedlicher Dauer und Intensität der Übungen. Anfänger dieser Entspannungstechnik beginnen üblicherweise mit einer längeren Variante (in etwa 30 Minuten), um die Technik zu erlernen sowie ein Bewusstsein für einzelne Muskelgruppen zu erlangen. Bei fortschreitender Übung können die Teilnehmer auf Varianten mit kürzerer Dauer wechseln, die An- und Entspannung von Muskelgruppen zusammenfassen. Durch das regelmäßige Training lernt der Teilnehmer muskuläre Entspannung zunehmend sicherer bei Bedarf – auch ohne Anleitung – selbst herzustellen und sich jederzeit im Alltag in einen muskulären Entspannungszustand zu versetzen.

Das autogene Training wurde erstmals von J.H. Schultz aus der Technik der Hypnose heraus konzipiert und ist eine Form der Autosuggestion – also eine Selbstbeeinflussung, um sich selbst in einen angenehmen und entspannten körperlichen und geistigen Zustand zu versetzen. Die Idee dahinter ist die Annahme, dass Menschen bereits durch ihre Vorstellungskraft in der Lage sind, einen körperlichen und geistigen Entspannungszustand herzustellen. Der Teilnehmer befindet sich dabei in einer entspannten und bequemen Körperhaltung, in der das Lockern der Muskeln erleichtert wird. Im Rahmen des autogenen Trainings suggeriert sich der Teilnehmer selbst im Geist kurze Vorstellungen, Zitate oder Redewendungen, um sein Unterbewusstsein zu erreichen. In der einfachen Form werden zunächst vor allem durch Übungen das vegetative Nervensystem oder auch einzelne Organe angesprochen, um eine körperliche Entspannung einzuleiten, komplexere Übungen können auch das Verhalten selbst positiv beeinflussen. Meist werden eine Reihe von Übungen nacheinander durchgeführt, um verschiedene Bereiche des Körpers und so einen ganzheitlichen Entspannungszustand zu erreichen.

Die Atementspannung ist eine weitere Entspannungstechnik, bei der die Achtsamkeit durch das Bewusstmachen körperlicher Prozesse (in diesem Fall die Atmung) gefördert wird. Der Entspannungszustand wird durch tiefes und langsames Ein- und Ausatmen herbeigeführt, dieser bewusste Vorgang kann durch gezielte Anleitung oder aber auch nach eigenen individuellen Vorgaben erfolgen. Der Teilnehmer kann diese Übung quasi jederzeit durchführen, besondere Voraussetzungen an die Umgebung werden nicht gestellt. Daher besteht ein Vorteil dieser Methode in der einfachen und quasi jederzeit möglichen Anwendbarkeit.

Entspannung – sich Zeit dafür nehmen.

Entspannung kann auf viele und sehr individuelle Weisen erreicht werden – hier hat jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen. Verändert sich im Laufe einer anhaltenden Belastung oder dauerhaftem negativem Stress die eigene Körperwahrnehmung, so kann es jedoch sinnvoll sein,  die Fähigkeit zur Entspannung wieder neu zu erlernen bzw. wieder zu verbessern, um dadurch einen Orientierungspunkt (einen Anker) für ein gutes Körpergefühl zu erhalten, der zukünftig als Soll- bzw. Zielzustand dienen kann. Dafür wurden kurz drei häufig angewendete Entspannungsverfahren in der Verhaltenstherapie vorgestellt, bei denen zunächst die körperliche Entspannung im Mittelpunkt steht. Eine grundsätzliche Wirksamkeit ist jedoch nur durch das gezielte Üben bei minimaler Ablenkung möglich, denn ein Teil der erreichten Entspannung entsteht durch die alleinige Auseinandersetzung mit den Techniken.

Werden die Verfahren regelmäßig wiederholt und geübt, so können Betroffene nicht nur Anspannungszustände schneller bemerken, sie haben auch wirksame Hilfsmittel zur Hand, um diese gezielt wieder auflösen zu können. In meiner psychotherapeutischen Praxis biete ich Ihnen bei Bedarf auch die Vermittlung von Entspannungstechniken wie der progressiven Muskelentspannung an.

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