„Strenge dich mehr an.“, „Achte auf dein Gewicht.“, „Sei disziplinierter.“ oder „Mache keine Fehler.“ – vielleicht haben auch Sie schon einmal solche oder ähnliche Sätze zu sich selbst gesagt. Dies sind Beispiele für ausgesprochene oder gedankliche Selbstgespräche, die in der Psychotherapie als innere Dialoge bezeichnet werden. Ein innerer Dialog ist eine Form der Selbstreflexion über die eigene Person, das eigene Handeln sowie das Erleben und die Interaktion mit der Umwelt. Obwohl es viele Formen dieser Zwiegespräche mit sich selbst gibt, die unterstützend, ermutigend und bestätigend sein können – wie z.B. sich selbst zu loben, sich zu ermutigen oder sich zu verzeihen, können andere (wiederkehrende) Formen dauerhaft sehr problematisch für das eigene Selbstvertrauen und den eigenen Selbstwert sein. Nachfolgend möchte ich kurz auf problematische innere Dialoge eingehen, deren Entstehung und Aufrechterhaltung verdeutlichen und einige Veränderungsmöglichkeiten aufzeigen.
Innere Dialoge: Entstehungsbedingungen
Zunächst einmal möchte ich die Frage aufgreifen, wie eine belastende Form eines inneren Dialoges entsteht. Innere Dialoge stehen in enger Beziehung zum Selbstbild, also der Art und Weise, wie wir uns selbst wahrnehmen und bewerten – zum Beispiel als isoliert und verletzlich, als nicht gut genug oder vielleicht eher als liebenswert und selbstbewusst. Dies ist abhängig davon, wie wir in unserem Leben geprägt worden sind, welche Botschaften uns von uns nahe stehenden Personen vermittelt wurden oder welche (emotionalen) Erfahrungen wir im Kontakt mit unserer Umwelt gemacht haben.
- Habe ich beispielsweise gelernt oder wurde ich darin bestärkt, dass ich in der Regel im Leben erreiche, was ich mir vornehme, so ist es sehr wahrscheinlich, dass ich darauf auch in neuen oder schwierigen Situationen meines Lebens vertrauen werde. Mein innerer Dialog wird dann vielleicht Aussagen beinhalten, wie „Du schaffst das bestimmt.“ oder „Gib nicht auf.“ – also eher wohlwollend und förderlich.
- Habe ich jedoch gelernt oder den Eindruck vermittelt bekommen, dass mein Umfeld (z.B. Bezugspersonen oder Gleichaltrige) oft nicht mit mir bzw. meinem Verhalten zufrieden war, mir Dinge nicht zugetraut oder meine Fertigkeiten nicht positiv wahrgenommen wurden, dann werde ich mit der Zeit diese Überzeugung vielleicht übernehmen und verinnerlichen. Ich werde mich selbst als ’nicht gut genug‘ bewerten und in neuen, schwierigen oder auch in bereits bekannten Situationen verzweifeln und mir mit Bestimmtheit sagen, dass „ich das nicht schaffe“ oder „ich unfähig bin.“ Und es mir vielleicht sogar mit Glück oder sehr günstigen Umständen erklären, wenn ich letztlich doch die Aufgaben oder Belastungen überwinden konnte.
Das Selbstbild ist somit auch abhängig von der individuellen Lerngeschichte – den Erfahrungen, den Botschaften von Bezugspersonen und dem sozialen Umfeld und den Umständen, auf die das Handeln oder die Resultate zurückgeführt werden. Und je nachdem wie sich eine Person im Alltag erlebt, wird sie auch mit sich selbst kommunizieren. Zudem können auch bei bestimmten Störungsbildern vermehrt belastende innere Dialoge auftreten, beispielsweise bei Angststörungen (z.B. in katastophisierender Form), bei Depressionen und anderen affektiven Störungen (z.B. in selbstabwertender und kritisierender Form) oder bei Somatisierungsstörungen (z.B. in verzweifelter Form).
Innere Dialoge: Aufrechterhaltung an einem Beispiel verdeutlicht
Mit der Zeit und durch wiederkehrende Problemsituationen bzw. die typischen Reaktionen des Individuums darauf bildet sich meist eine bestimmte Form des inneren Dialoges heraus. Dieser kann eher lobend, fürsorglich, im Alltag unterstützend oder verzeihend sein. Er kann aber auch eine überwiegend fordernde, kritisierende oder sogar abwertende Form annehmen und der betroffenen Person dadurch kaum den Raum zur Verfügung stellen, ein gesundes Selbstvertrauen aufzubauen. Aber warum fällt es Menschen so schwer, ihre inneren Dialoge dauerhaft in eine für sie wohlwollende Form zu verändern, wenn sich erst einmal eine bestimmte (z.B. strafende) Art etabliert hat?
Nehmen wir als Beispiel mal eine Frau, die sich im Spiegel betrachtet und sich selbst sagt „Du bist zu dick.“ – mal unabhängig davon betrachtet, ob diese Frau tatsächlich unter Übergewicht leidet oder nicht. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie stehen neben dieser Frau und fragen sie, warum sie auf diese Weise mit sich umgeht. Dann wären Sie vielleicht überrascht, wenn sie zu Ihnen sagen würde: „Dies hilft mir, an mir zu arbeiten, nicht nachlässig zu sein und mich nicht gehen zu lassen.“ Sie nimmt in dieser Situation ihren inneren Dialog kurzfristig gar nicht als Abwertung wahr, sondern als Antreiber und als Anreiz und bemerkt dadurch vielleicht die ungünstigen langfristigen Folgen für ihren Selbstwert nicht. Kurzfristig ist sie nun motiviert, an sich bzw. ihrem Gewicht zu arbeiten, langfristig steigert sich die Unzufriedenheit mit sich selbst – denn wenn ich mir selbst etwas sage, dann hat dies für mich oft die höchste Glaubwürdigkeit. Ein anderes Problem in dieser Situation ist die emotionale Übereinstimmung von Selbstbild und innerem Dialog. Die Frau, die im Beispiel vor dem Spiegel steht, hat vielleicht insgesamt kein positives Selbstbild – sie empfindet sich vielleicht nicht nur als unattraktiv, sondern ist auch in anderen Lebensbereichen nicht sehr von sich überzeugt. Wenn sie über sich selbst nachdenkt, dann stellen sich Gefühle wie Trauer, Schuld oder Angst ein. Die Aussage „Du bist zu dick.“ wird bei ihr vielleicht auch diese Gefühle auslösen – Trauer, Angst und Schuld. Beide Gefühlslagen sind also sehr stimmig – dies steigert die Glaubhaftigkeit dieses inneren Dialoges immens. Würden Sie als Beobachter intervenieren und der Frau sagen „Das stimmt doch gar nicht.“, dann würden wir erwarten, das dies in dieser Situation die negativen Gefühle reduzieren und Zuversicht erzeugen sollte – diese Aussage steht jedoch emotional im Gegensatz zum Gefühlserleben der Person. Daher wird sie eher auf ihr eigenes Zwiegespräch vertrauen, der innere Dialog erhält dadurch Glaubwürdigkeit und wird nun in zukünftigen bzw. vergleichbaren Situationen wahrscheinlich häufiger auftreten – eine Teufelskreis.
Falls Sie als Leser eher selbstkritisch sein sollten, sich selbst im Alltag fordern und antreiben oder sogar dazu tendieren sollten, sich abzuwerten, dann können Sie sich jetzt vielleicht etwas besser erklären, warum (Selbst)Kritik bei Ihnen eher lange und schwerwiegend in Erinnerung bleibt und Lob und Wertschätzung z.B. aus ihrem Umfeld dagegen oft für Sie wenig glaubwürdig erscheint bzw. schnell vergessen ist. Finden selbstabwertende oder kritisierende Dialoge immer wieder in ähnlicher Form statt, so kann es zudem sein, dass diese mit der Zeit fast automatisch ablaufen. Als Folge werden die Dialoge von uns nicht mehr bewusst wahrgenommen, wir können selbst kaum noch intervenieren und sind den wiederkehrenden negativen Botschaften unseres Selbst mehr oder weniger ausgesetzt.
Veränderung von inneren Dialogen – ein möglicher Weg
Um innere Dialoge in eine für uns wertschätzende und wohlwollende Form zu verändern, müssen diese zunächst wieder bewusst wahrgenommen werden. Ich muss bemerken, wenn ich mich selbst kritisiere oder abwerte, sonst bin ich passiv und handlungsunfähig. Durch ein Protokoll oder eine Liste kann mein Verhalten mir selbst gegenüber genauer beobachtet und dokumentiert werden. Dadurch bekomme ich auch einen Einblick in typische Problemsituationen und Lebensbereiche, in denen ein belastender innerer Dialog auftritt, z.B. in Schule und Beruf, im Familienleben, im Umgang mit mir selbst oder im sozialen Kontakt mit anderen. Werden die Problemsituationen dokumentiert und das Bewusstsein für meine inneren Dialoge geschärft, dann kann mit der Veränderung begonnen werden. Dies ist ein Prozess, der jedoch viel Zeit erfordert! Nach jahrelanger Selbstabwertung kann nicht erwartet werden, dass ein selbstfürsorgliches Verhalten sofort akzeptiert und verinnerlicht wird. Ist das Verhalten sehr automatisiert, dann sollte auch mit einigen „Rückfällen“ gerechnet werden, um sich selbst nicht zu sehr unter Druck zu setzen.
Alternative Bewertungen
Strenge, fordernde oder abwertende innere Dialoge stehen oft für ein negatives Selbstbild oder eine geringe Selbstakzeptanz. Durch das Zulassen alternativer Erklärungen kann gelernt werden, Situationen, Erfahrungen und Ergebnisse neu zu bewerten und dadurch andere Schlussfolgerungen zulassen. Bestehe ich beispielsweise eine Prüfung und vermute, dass ich am Ende nur „Glück gehabt habe“, dann werde ich diese Situation im Nachhinein eher negativ in Erinnerung behalten – obwohl ich die Prüfung bestanden habe. Hier wäre eine alternative Erklärung z.B. „Glück alleine sollte wohl nicht ausreichen, um eine Prüfung zu bestehen – vor allem, wenn schon mehrere Prüfungen bestanden wurden, dann muss ich selbst irgendwie dazu beigetragen haben.“ Eine solche Erklärung muss nicht unbedingt sofort überzeugen – sie muss zunächst einmal nur zugelassen werden. Wird dies regelmäßig geübt, so fallen der Person mit der Zeit zunehmend mehr alternative Erklärungen ein, die genauso möglich sein könnten, wie die für die Person übliche Erklärung. So kann der Fokus langsam auf weniger selbstwertschädliche Erklärungen verlagert werden und der Strom der an sich selbst gerichteten Negativbotschaften kommt langsam zum Erliegen.
Positive Selbstverbalisation und Selbstlobeübungen – Sei nett zu Dir selbst
Wie wir mit uns umgehen, hat dauerhaft großen Einfluss auf unser Selbstbild. Zudem stützt sich der Selbstwert vor allem auf positive Erfahrungen und Erfolgserlebnisse. Wenn eine Person sich wiederholt kritisiert oder abwertet, bleiben diese Erfolgserlebnisse aus – als Folge im Rückblick zur Arbeit an meinem Selbstvertrauen kaum motivierend. Eine Möglichkeit, die Häufigkeit von Erfolgserlebnissen im Alltag zu steigern, ist, sich selbst zu loben. „Eigenlob stinkt.“ – ja, das haben wir alle irgendwann einmal gehört. Wenn ich aber nicht einmal mich selbst loben kann, wie kann ich dann erwarten, Lob aus meinem Umfeld annehmen zu können – das erscheint zunächst als Dilemma. Eine Selbstlobeübung kann hier Abhilfe verschaffen, ein Einstieg gelingt z.B. durch das Lob eines mir vielleicht eher untypischen Verhaltens, beispielsweise eine Arbeit mal ruhen zu lassen oder sich eine Pause zu erlauben. Auch eine Arbeit vielleicht nicht ganz so perfekt wie sonst abzuschließen, verdient Lob. Die Liste der Dinge, die ich loben kann ist sehr lang und wird üblicherweise nur dadurch verkürzt, dass ich es mir nicht erlaube, mich zu loben. Wer jetzt glaubt, er werde durch zu viel Lob mit der Zeit nachlässig, der braucht sich nicht zu sorgen, denn der Effekt besteht ja vor allem in einer Verbesserung des Selbstbildes – wer seine Stärken und Fertigkeiten besser wertschätzen und auf sie vertrauen kann, hat wenig Schwierigkeiten, sie auch aktiv zu gebrauchen.
Der erste Schritt wäre auch hier, das Lob zunächst einmal zulassen zu können, es muss noch nicht sofort überzeugen. Aber mit der Zeit wird die Person sensibler für Lob, es verbessert die emotionale Erlebnisfähigkeit durch mehr Freude und Zufriedenheit und reduziert den Druck bzw. eine überzogene Anspruchshaltung. Übrigens, ein pädagogisches Idealverhältnis wäre 4 x Lob zu 1 x Strafe – in der Erziehung sicherlich schwierig umsetzbar, aber zumindest ein anzustrebendes Ziel. Lobt sich eine Person vier Mal, bevor sie sich einmal abwertet, so wird es ihr zunehmend schwerer fallen, an einem ungünstigen Selbstbild festzuhalten und sie wird auch aufmerksamer und sensibler für positive Rückmeldungen aus ihrem Umfeld, da diese nun an Glaubwürdigkeit zunehmen – dies sollte diese Entwicklung weiter positiv verstärken und unterstützen. Lassen sich die inneren Dialoge nur sehr schwer selbstständig verändern, so kann eine Veränderung auch durch Inanspruchnahme professioneller Hilfe z.B. im Rahmen einer Psychotherapie oder eines Coachings erfolgen.